eigensinnige Worte
Essays, Pensées, Aktuelles, Newsletter für das Avantgarde-Label.
Experimentelles Schreiben, aber nicht nur.
Artikel und
Essays
Wir sind wieder da, aber anders. Es ist kein lauter Neuanfang in übertriebener Heiterkeit, kein phönixhafter Aufstieg aus der Asche. Es ist eher eine langsame, demütige und leise Rückkehr in einen Alltag, von dem wir noch nicht wissen, wie er sich und uns gestalten wird.
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Schwarz ist voller Widersprüche – die Farbe, die keine ist. Sie ist achromatisch und zeichnet sich durch etwas aus, was nicht da ist: In ihr ist jegliches Licht abwesend. In ihr wohnen viele starke, einander entgegensetzte Attribute und Zuschreibungen: das Böse, die Trauer, die Melancholie. Die Eleganz, das Understatement, die Poesie. Die Arroganz, der Minimalismus, die Existenz an sich.
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„Ein Krise besteht darin, dass das Alte stirbt und das Neue nicht geboren werden kann“, schrieb der italienische Schriftsteller Antonio Gramsci. Das beschreibt unsere aktuelle Gefühlslage ganz gut. Unsere Türen sind nun auf unbestimmte Zeit verschlossen; geduldig und in großer Stille und Dunkelheit hängen die eigensinnigen Unikate an den Stangen.
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Wir wissen, dass das Verweilen, Schauen und Stoffe-Fühlen an unserem Ort etwas anderes ist als im Online-Shop zu flanieren. Nun sind unsere Türen leider, auf unbestimmte Zeit, verschlossen, aber wir wollen dennoch für Sie da sein. Sie können jederzeit – ohne an unsere Öffnungszeiten gebunden zu sein – unseren virtuellen Ort besuchen.
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Hinter der Fassade des Hauses, hinter den Fenstern, die auf den Sankt-Ulrichs-Platz zeigen, war es sehr lange sehr still. Wir vermissten das Glockengeräusch, wenn jemand hereinkam und blickten wehmütig auf die eigensinnigen Unikate, die schon viel zu lange unberührt auf den Metallstangen hingen und sich mit der Sehnsucht arrangieren mussten, erst irgendwann gesehen und angeeignet zu werden.
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Als wir letztes Jahr im Herbst am Programm für das Frühjahr 2020 gearbeitet haben und wir uns dabei von der Chaostheorie inspirieren ließen, dachten wir natürlich nicht an die aktuelle Situation. Dass „der Flügelschlag eines Schmetterlings am anderen Ende der Welt einen Tornado auslösen kann,“ hat uns der Corona-Virus nun demonstriert.
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Aus weichstem Lammleder ist sie gemacht, die Damenlederjacke. Locke nennt sie sich – die Ideen des englischen Philosophen John Locke sind ihr eingeschrieben: Der geistige Vater der Aufklärung und des Liberalismus hat immer schon die Freiheit des Individuums vor den Kollektivismus und die Anpassung an die Masse gestellt.
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Seit letztem Sommer ist alles anders an unserem eigensinnigen Ort: Bühnengleich verhält sich unser Showroom inmitten der geschichtstragenden Mauern. Nach unserem Debutprogramm ‚virtù & volupté’ folgt nun die zweite Themenwelt, in die sich das eigensinnig wien ab Februar hüllt. Als Pate diente uns dabei in erster Linie die Chaostheorie mit ihrem Schmetterlingseffekt.
Pensées
MA ist das japanische Wort für Leere, Abstand, Pause, Zwischenraum. In der Architektur ist der Raum zwischen zwei Pfeilern oder Tischbeinen gemeint. Es ist kein offener, aufgehender Raum, sondern ein „eingesperrter“ Raum, der begrenzt ist, eingerahmt. Er ist immer auf das bezogen, was ihn begrenzt.
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„Nothing is more memorable than a smell“, hat die Autorin Diane Ackerman gesagt. Gerüche rufen urplötzlich Erinnerungen wach: Der ofenfrische Apfelkuchen versetzt einen Jahrzehnte zurück in die Kindheit am Land; das Parfum, das die Partnerin beim ersten Date getragen hat, holt Bilder von der damaligen abendlichen Kulisse von der Vergangenheit ins Jetzt.
→ Düfte
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“Wenn wir die Zeit, die wir für die Erfüllung legitimer Erwartungen bräuchten addiert, kommt man auf ca. 72 Stunden pro Tag. Und das führt dazu, dass wir in einem Zustand der Temporal-Insolvenz leben. Wir können die Zeit, mit der wir uns verschulden, weil wir die Dinge nicht getan haben, niemals zurückzahlen. Was dazu führt, dass am Ende des Tages Menschen immer als schuldige Subjekte zu Bett gehen,” schreibt der Soziologe Hartmut Rosa.
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„Das Zwischen hat kein ‚Sein’, kein An-Sich, kein Wesen, nichts Eigenes. Genauer gesagt: Das Zwischen ‚ist’ nicht. Damit ist es jedoch keineswegs neutral oder, anders ausgedrückt, unwirksam,“ sagt der Philosoph François Jullien. Das Zwischen ist laut, es wirkt und irritiert, es provoziert, erzeugt Unruhe im Betrachter.
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Als Puer Robustus bezeichnet der Philosoph Dieter Thomä den Störenfried: „der kräftige Knabe, der auf eigene Faust handelt, sich nicht an die Regeln hält, der aneckt, aufbegehrt und auch mal zuschlägt.“
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‚Wer die Anonymität liebt, hat vieles zu verbergen’, sagte der Publizist Franz Schmidberger. Man denke an den Maskenball in Arthur Schnitzlers Traumnovelle, wo Fridolin, der Hauptprotagonist, mit dem Aufsetzen der Maske sein soziales Ich und jegliche Scham ablegt und sich von seinen Trieben lenken lässt.
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„Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen“, schrieb einst der französische Lyriker Blaise Pascal. Alleine in einem Zimmer, ganz ohne Reize und Einflüsse von außen auf sich selbst gestellt zu sein, das macht Angst. Aber nicht nur – viele sehnen sich mittlerweile nach diesem Sich-Ausklinken, nach Stille, nach Entschleunigung.
→ Resonanz